Freitag, 3. April 2020

Coronatagebuch

Ich laufe durch die Stadt, menschenleer, einige wenige, wirken wie vor dem Tod, werden hysterisch, wenn der Bürgersteig zu eng ist, um 2 Meter Abstand zu halten. Der Rest in Endzeitstimmung – alle kurz vor dem Tod, so scheint es. Hineingeworfen in eine Welt von Orwells „1984“ oder Huxleys „Schöne neue Welt“, nur niederträchtiger.

Im Gespräch wirken die Menschen verwirrt, nicht mehr bei Verstand, sie haben nicht mehr alle Sinne beisammen, bemerken es aber noch, entschuldigen sich dafür.

Heute Nacht hatte ich einen Traum, es war alles nur ein Traum, der Wunsch nach Totalüberwachung und Menschenversuchen, das Einschränken der Grundrechte, es war nicht mehr da, ich hatte alles nur geträumt, ein Alptraum, aus dem ich nur aufzuwachen brauchte. Doch zwei Minuten später begriff ich, es war kein Traum, 1984 war in Planung, war Realität geworden, nur wesentlich bestialischer.

Big Brother is watching you. Ich muss beide Bücher noch einmal lesen, ist lange her, Schulzeit. Ja, da schien die Demokratie noch intakt.

Zum Glück stamme ich aus einem Elternhaus und aus einer Schule, die mir das Denken beigebracht haben, nicht das Runterbeten von Vorgebetetem.  Den Kampf um die Demokratie werde ich nicht gewinnen können, dazu hat Angst und Manipulation durch Bilder zu viel Macht, aber ich würde es mir nicht verzeihen, es nicht wenigstens zu versuchen, das bin ich meinen Eltern und auch meinen Lehrern schuldig.

Meine Eltern, meine Freunde, die ich nicht sehen kann, weil sie sich vor Angst in der Wohnung verschanzen. Menschen, die vor einem halben Jahr noch für die Erhaltung der Demokratie kämpften, kämpfen jetzt für Überwachung, Totalitarismus und Menschenversuche. So etwas hätte ich mir in meinen kühnsten Alpträumen nicht vorstellen können, in meinen verrücktesten Geschichten nicht, aber ich war auch nie eine Sciencefictionautorin.

Was Angst aus Menschen machen kann ... wir haben genug Beispiele in Vergangenheit und Gegenwart, aber das Kollektivwissen, das Schwarmwissen, die Intelligenz, die Masse scheint keinen Zugriff mehr darauf zu haben, wie fortgeblasen bei den meisten. Der verordnete körperliche Abstand, die Isolation führen offenbar auch zur Abschottung von Geschichte, Vergangenheit, jüngster Vergangenheit, eigenen Überzeugungen, Wissen und Denken.

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