Mittwoch, 1. April 2020

Der Befehl

Befehl ist Befehl: der Charakter des Endgültigen und des Indiskutablen, der dem Befehl anhaftet mag auch bewirkt haben, daß man über ihn so wenig nachgedacht hat. Man nimmt ihn hin, als etwas, das immer so da war, er erscheint so natürlich wie unentbehrlich. Von klein auf ist man an Befehle gewöhnt, aus ihnen besteht zum guten Teil, was man Erziehung nennt. Auch das ganze erwachsene Leben ist von ihnen durchsetzt, ob es nun um die Sphären der Arbeit, des Kampfes oder des Glaubens geht. Man hat sich kaum gefragt, was denn ein Befehl eigentlich ist; ob er wirklich so einfach ist, wie er erscheint; ob er der Raschheit und Glätte zum Trotz, mit der er das Erwartete bewirkt, nicht andere, tiefere, vielleicht sogar feindliche Spuren im Menschen zurückläßt, der ihm gehorcht.
Der Befehl ist älter als die Sprache, sonst könnten ihn Hunde nicht verstehen. Das Dressieren von Tieren beruht eben darauf, daß sie, ohne eine Sprache zu kennen, begreifen lernen, was man von ihnen will. In kurzen, sehr deutlichen Befehlen, die sich prinzipiell von denen am Menschen unterscheiden, wird ihnen der Wille des Dompteurs kundgegeben. Sie befolgen ihn, wie sie sich auch an Verbote halten. Man hat also alles Recht, nach sehr alten Wurzeln für den Befehl zu suchen; zumindest ist es klar, daß es ihn in irgendwelcher Form auch außerhalb der menschlichen Gesellschaft gibt. (Elias Canetti, Masse und Flucht, S. 357)

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