In der Mann
mit der Laterne (Die fröhliche Wissenschaft) zeigt Nietzsche auf, was es für
die Menschen bedeutet, wenn sie Gott einfach töten, er weist auf die Gefahren
hin, wenn Gott als Führer und Sinnstifter fehlt, auch wenn er nur ein
abgespaltenes Ich-Ideal des Menschen war, menschlich konstruiert, mit
menschlichen Eigenschaften versehen, der Ge- und Verbote vorgab.
Entgegen Kant
behauptet Nietzsche, es gäbe keine Vernunft ohne Einbeziehung des Körpers, der
eine übergeordnete Vernunft schaffen wollte, die man durch das Denken alleine
erreichen könne, die es aber für Nietzsche nicht gab, da hier lediglich der
Körper dem Geist unterworfen werden sollte.
Die tatsächliche autonome
Menschwerdung (Übermensch) durchläuft laut Nietzsche drei Entwicklungsstufen: die des Kamels
als Herdentier, das sich an ein Leittier anpasst, die des Löwen, der brüllend
ohne sinnstiftende Werte ins Nichts fällt, nachdem er sich von den Werten der
Kamelstufe losgesagt hat, ohne noch zu verstehen, dass er selbst Werte und einen
Sinn für das eigene Leben entwickeln muss, erst auf der dritten Stufe, der des
Kindes, verlässt der Mensch die Tierstufen, um eigene Werte, eine eigene Vernunft und einen eigenen
Sinn zu entwickeln.
Dieser neue Mensch, der aus eigener Kraft Werte, Vernunft
und Sinnstiftung seinem Leben gegeben
hat, ist nach Nietzsche der neue autonome Mensch, der individuell und auch
spielerisch kreativ sein Leben gestalten kann. Erst der selbstbestimmte Mensch,
der keine Führung von oben oder eine Diktatur des Geistes über den Körper mehr
benötigt, sondern eine eigene Vernunft entwickelt hat, hat die Menschwerdung
erreicht, die Tierstufen (Kamel und Löwe) überwunden; Nietzsche bezeichnet den
autonomen Menschen als Übermenschen. Der Übermensch hat also die Herrschaft
über den eigenen Geist und Körper gewonnen, ohne das eine oder andere zu leugnen
oder den einen dem anderen zu unterwerfen, er hat eine eigene Vernunft entwickelt und ist der Dirigent seines eigenen Lebens, benötigt
hierfür keine Ideologie und keinen Leithirten mehr.
Im Grunde entsprechen
Nietzsches Entwicklungsstufen der Menschwerdung auch den groben Stufen einer
gesunden Entwicklung in der Psychologie: in der Kindheit lernt das Kind sich
führen zu lassen und sich anzupassen (Kamel), in der Jugend und im jungen
Erwachsenenalter wirft es alle Werte, die Vernunft und Sinnstiftungen, die von
Eltern und der Gesellschaft vorgegeben waren um und tobt erst einmal scheinbar Sinn
frei durchs Leben, erst wenn alle Werte umgestoßen, ausgetestet, neu beleuchtet
wurden, neu gestaltet oder doch als richtig empfunden wurden, tritt der Mensch
ins Erwachsenenalter ein mit einer selbstbestimmten Lebensweise und eigenen
Vernunft.
Laut
Nietzsche erreichen aber nur sehr wenige Menschen die Entwicklungsstufe 3 der
Menschwerdung (Erwachsenenalter, bei N.: das Kind) des autonomen Menschen
(Übermenschen), sondern fallen immer wieder auf frühere Entwicklungsstufen
zurück, die des Kamels oder die des Löwen.
Durch
Nietzsches Philosophie der Menschwerdung (Übermensch, Umwertung der Werte) lassen
sich gut die neuen Entwicklungen in den westlichen Ländern, auch das Aufkommen
von rechten Bewegungen erklären: Durch den Mauerfall wurden der ostdeutschen
Bevölkerung die sozialistischen Werte genommen. Das war zunächst kein Problem,
da die Bevölkerung für demokratische Werte offen war, der Osten befand sich im
Aufbruch zu neuen Werten, also im Übergang zur Menschwerdung (laut Nietzsche).
Durch die Agenda 2010 Gerhard Schröders wurden aber sozialdemokratische Werte
weitgehend abgeschafft wie angemessenes Einkommen, Würde des Menschen, freie
Berufswahl pp., die Werte verschoben sich zugunsten des Kapitals und waren nur
wenigen Eliten zuträglich. Der Arbeiter wurde wieder vom Bürger zur Ware degradiert
und zwischen Zeitarbeitsfirmen, Jobcenter, Maßnahmen und verschiedenen
Arbeitgebern hin- und hergeschoben, an dem alle Beteiligten verdienten, nur
der Arbeiter selbst konnte von seinem Gehalt nicht mehr angemessen leben. Auch
die Mittelschicht geriet in Gefahr und bekam nur noch selten feste
Arbeitsverträge, angemessene Entlohnungen oder Verbeamtungen.
Lange befand
sich die Bevölkerung hier in der Kamelphase (Anpassung, Gehorchen (Kindheit)),
um die Wirtschaftskraft des Landes zu unterstützen.
Nachdem die
Wirtschaft sich erholt hatte und die Bürger merkten, dass sie von dem großen
Kuchen weiterhin nichts abbekamen, sondern allenfalls mit Almosen abgespeist
wurden (z.B. Mindestlohn, einige Strafbeschränkungen der Jobcenter pp.)
befindet sich ein großer Teil der Bevölkerung, der die Kindphase (Übermensch) noch
nicht erreicht hat, in der Löwenphase: orientierungslos, ohne Wertekontext
stampfen sie wutentbrannt durchs Land und versuchen die restlichen
demokratischen Werte auch noch zu vernichten durch rechte menschenverachtende
Parolen. Irrwitziger Weise ziemlich genau 13-14 Jahre nach Einführen der Agenda 2010, zur
gleichen Zeit, in der sich ein Mensch in der Pubertät befindet und ein
ähnliches Verhalten an den Tag legt.
Fatalerweise
entwickeln die Menschen aber keine eigenen neuen Werte und Ziele, um die
Menschwerdung abzuschließen, sondern fallen in die Kamelphase zurück, in der
sie durch die Orientierungslosigkeit der Löwenphase, leichtes Opfer für
Hassprediger und rechte Gruppierungen werden, denen sie sich kritiklos
anschließen.
Hier können
wir wohl nur mit Nietzsche hoffen, dass möglichst viele von ihnen die
Menschwerdung mit der Entwicklung neuer Werte und Vernunft noch vollziehen und
aus den wütenden, menschenverachtenden Leuten, autonome, individuelle Menschen
werden.
Quellen: Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Menschliches - Allzumenschliches, Zur Genealogie der Moral
Quellen: Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Menschliches - Allzumenschliches, Zur Genealogie der Moral
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