Herr X ging die 63. Straße
entlang. Ursprünglich hieß sie ja Kauberstraße, doch Herr X konnte sich Zahlen
besser merken als Namen, außerdem waren sie ihm sympathischer, daher hatte er
eines Tages die Straßen seiner Stadt nummeriert. Eine herrliche Zahl für eine
wunderschöne Straße.
Es war ein Freitagmorgen im April, die Sonne kam
ein wenig hinter den Wolken hervor, aber es fröstelte noch. Herr X kam an einem
Schaufenster mit allerlei bunten Dingen vorbei.
Scheußlich, grässlich, dachte er
und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Lauter buntes, unnützes Zeug, wild
durcheinander gewürfelt, es sprang ihm regelrecht in die Augen. Es blendete
ihn fürchterlich und er konnte nichts erkennen.
Dann wanderte sein Blick zur
Tür, diese schien interessanter zu sein. Ein Schild mit der Aufschrift
"Bitte gehen Sie nicht wieder fort, ich bin gleich zurück" klebte an
der Scheibe.
Nun, wenn er gar so sehr gebeten
wurde, so wollte er warten. Er war schließlich los gezogen um etwas oder
jemanden zu suchen und hier schien ihn offensichtlich jemand zu erwarten.
"Guten Morgen, warten Sie
auf mich?", fragte der Ladenbesitzer und schloss sein Geschäft auf.
"Ich konnte Ihrer Bitte
nicht widerstehen."
"Suchen Sie etwas
Bestimmtes", der Verkäufer zeigte auf seine Waren.
"Nein, nichts
Bestimmtes."
Herr X wunderte sich über die
seltsamen Dinge hier, Monster, die Töne von sich gaben, Miniaturen von
Menschen, Häusern, Autos und vieles mehr. Er konnte kaum fassen, was er sah und
setzte sich auf einen kleinen Stuhl.
"Kann ich Ihnen helfen",
meldete sich der Inhaber wieder.
Aufgebracht, mit weit
aufgerissenen Augen, stammelte Herr X:
"Das weiß ich doch
nicht."
"Fehlt Ihnen etwas, ist
Ihnen nicht gut?"
Herr X schaute auf den Boden:
"Nein, nein."
"Ich dachte schon. Na,
lassen Sie sich Zeit. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich."
Entsetzlich, was war denn das
für ein Geselle. Überhaupt kein Benehmen. Nicht einmal einen Kaffee hatte er
ihm angeboten, keinen Stuhl, nichts. Beschäftigt sich mit unnützem Kram,
anstatt sich um seinen Gast zu kümmern und dann mischte er sich auch noch in
seine höchst privaten Angelegenheiten ein: "suchen Sie etwas", "fehlt
Ihnen etwas", das war doch wohl der Gipfel der Frechheit! Kaum zu glauben,
dass ein solch fürchterlicher Mensch es fertigbrachte, so ein nettes Schild zu
schreiben.
"Nun, sagen Sie einmal,
wollen Sie mir nicht einmal einen Kaffee anbieten", entrüstete sich Herr X.
"Ihnen ist doch nicht gut,
wieso sagen Sie das nicht gleich. Selbstverständlich werde ich Ihnen einen
Kaffee kochen."
"Milch, Zucker?"
"Ja, bitte. Aber hören Sie
einmal, wo ist denn Ihre Tasse", fuhr ihn Herr X an. Der Mann wagte nicht,
sich seinem seltsamen Kunden zu widersetzen, holte einen weitere Tasse und
einen zweiten Stuhl. Nach einer Weile des Schweigens, fragte Herr X den Eingeschüchterten:
"Sind sie immer so
schweigsam?"
"Nein, durchaus
nicht."
Nach einer kurzen
Besinnungspause erwiderte Herr X:
"Oh, ich war wohl etwas
grob zu Ihnen. Aber wissen Sie, es ist nur so, ich bin ja auf der Suche und ihr
Schild versprach so viel, ich dachte, Sie hätten mir etwas anzubieten. Ich reagiere
immer etwas aufbrausend, wenn meine Erwartungen nicht erfüllt werden."
"Nun, außer dem Angebot, das
Sie gesehen haben, kann ich Ihnen noch Kinderbücher anbieten. Wie alt ist denn
das Kind?
Welches Kind? Sah er etwa aus,
als hätte er ein Kind? Kinderbücher, was sollte er mit Kinderbüchern?
"Nein, keine Bücher."
"Ich hätte auch noch CDs
mit Märchen oder Liedern."
Herr X nickte begeistert.
"Soll es etwas Modernes
sein?"
"Nein."
"Hier habe ich eine CD mit "Hänschen
klein und …"
"Ja, die nehme ich."
"Dürfte ich Sie dann zur Kasse bitten?"
Bezahlen sollte er auch noch, so eine Frechheit, er war doch auf der Suche nach dem Weg und jetzt sollte er sich mit so primitiven Dingen wie Geld auseinandersetzen. Leute gab es.
Hänschen klein hatte er schon
als Kind gerne gehört und schließlich war er doch heute erst losgegangen ...
in die weite Welt hinein ...
Anja Wurm