Mit Anfang 20 musste ich sehr schmerzhaft lernen, dass das
Leben nicht nur aus Theorie besteht. Ich war immer sehr verkopft und durch die
Dramen meiner Jugend und des jungen Erwachsenenalters entschloss ich mich
schließlich einen Teil meiner Intelligenz von Theorien und Gedankengerüsten abzuziehen
und den praktischen Dingen zu widmen. Leicht fiel mir das nicht, da ich das
Denken für das höchste Gut hielt. Es war eine Entscheidung der Vernunft, denn
mein dramatisches Eintreten in das Erwachsenendasein, zeigte sehr deutlich,
dass das Denken weder zum Leben, noch zum Arbeiten taugte. Zunächst musste ich begreifen, dass nicht
alle Menschen lediglich arme Opfer ihrer Umwelt sind. Ich lernte Nein-Sagen und
einfache Sätze zu verstehen, die notwendig waren, um z.B. Arbeitsanweisungen ausführen zu können. Mindestens 20 gefühlte Prozent meines Intellekts musste ich dafür
opfern, was mir nicht leicht fiel; ich
schien zwei linke Hände zu haben, doch schon bald konnte ich mich recht gut in
der Welt zurechtfinden, schnell lernte ich dann auch in praktischen Dingen zu
differenzieren und eine Vielzahl an Lösungsmöglichkeiten zu eruieren.
Zu Beginn fiel es mir sehr schwer, im Dickicht meiner
vielschichtigen Gedanken, einen einfachen Satz zu formulieren oder eine primitive
Handlung auszuführen. Das artete manchmal in Schwerstarbeit aus und raubte mir
die Kraft für Innovatives. "Dumm" zu denken, so sah ich das damals,
ist gar nicht so leicht. Manchmal hielten mich auch einfache Leute für dumm,
weil ich kaum in der Lage war, ihre übersichtlichen Gedankengänge nachzuvollziehen.
Hätte ich einen Partner gefunden, der mir die Dinge geordnet
und mich durchs Leben geschliffen hätte,
wäre mir das einfache Denken und Handeln vielleicht erspart geblieben, aber
auch die Annäherungsrituale zwischen Männern und Frauen schienen mir ein
unlösbares Rätsel in dieser Zeit zu sein. Im Elternhaus konnte ich dergleichen
nie beobachten, so fing ich an als Erwachsene, Frauen und Männer in Kneipen und
Diskotheken zu beobachten und zu analysieren, wie sie sich näherten. Aus Filmen
schaute ich mir verliebte Blicke ab, leider lernte ich aus ihnen jedoch nie,
wie aus einer Tragödie dann doch noch eine Liebesgeschichte wurde. Irgendwann
beherrschte ich die Annäherungsrituale, aber ich glaube, meine Partner merkten
immer, dass ich dies auf der intellektuellen Ebene erlernt hatte, sie schienen
wenig begeistert von meinen Verführungstechniken. Später wurden die Techniken
dann doch etwas feiner, so dass sie wenigstens nicht gleich merkten, dass ich
das Grundlegende, welches in der Kindheit angelegt wird, übersprungen hatte.
Andere Dinge wie Konkurrenzverhalten oder Neid und Missgunst
habe ich mir nicht ab geschaut und beigebracht, da die Nachteile meines
Erachtens überwiegen.
Irgendwann habe ich festgestellt, wenn es mir gelingt, einen
einfachen Gedanken zu formulieren, so glückt es auch, diesen unmittelbar in die
Tat umzusetzen. So lernte ich, wie einfach das Leben sein kann und dass es auch
außerhalb des Denkens eine Unmenge an Spaß bereit hält. Seitdem spare ich mir
Schnörkel beim Reden, was mir natürlich nicht nur Freunde beschert. Es
vereinfacht das Leben jedoch ungemein und lässt viel Raum für Genuss und andere
wichtige Dinge.
Beide Denkebenen in Einklang zu bringen ist jedoch ein
langer Prozess, ich musste fast 40 werden, um diesen Spagat in nahezu allen
Punkten des Lebens zu bewerkstelligen. Ein Gerüst aus einfachen, klaren
Gedanken umreißt nun eine differenzierte Vielfalt und bietet guten Boden für
geistige Höhenflüge, sowie ein Hindernis
vor dem Verirren.